Samstag, 17. Dezember 2011

Schwellenzeit

Die Tage werden kürzer und es wird immer noch dunkler. Der Wind weht zur Zeit rauh und kalt über die Hügel. Es braust und knackt in den Bäumen und der Kauz heult fern durch die Nacht. Die Übergangszeit naht und im Kessel der Schicksalssuppe wird neu gerührt. 
Es folgen schon bald die zwölf Rauhnächte. 
Es ist die Zeit der Kerzen und Lichter, der Düfte und der Wärme. Im Haus und im Herzen.
Und es ist die Zeit für Geschichten und Märchen.

Einige von Euch wissen, dass ich eine besondere Affinität zu Märchen habe. 
Sie sind in der Sprache der Seelenbilder erzählt, der wir sonst nur in unseren Träumen begegnen und die den meisten von uns jedoch im Alltagsbewusstsein fast gänzlich fernbleibt.

Märchen sollten eigentlich erzählt werden. Dann wirken die Bilder umso mehr und man kann tief in das Geschehnis eintauchen. Weil ich es Euch nicht erzählen kann, schreibe ich Euch heute ein Märchen auf.
Eines, das in die kommende Zeit passt. Eines aus uralten Zeiten. Wahrscheinlich tausend und ein mal neu und wieder etwas anders erzählt. Es heisst Frau Holles Wagen. Von der Frau Holle gibt es einige Märchen, nicht nur das der Gebrüder Grimm. Die Figur der Frau Holle steht für die Urmutter. Die Schicksalsgöttin mit ihrem silbernen Faden - dem Schicksal - den sie fortwährend spinnt.
Frau Holles Wagen

Es war einmal ein armes Ehepaar, dem wurde kurz vor Weihnachten ein Kind geboren. Der Mann ging am frühen Morgen hinaus in den Wald, um Holz zu hauen. Wie er nun auf dem Heimweg war, wurde er von der Nacht überrascht. Als er an sein Zuhause dachte, an seine Frau und das neugeborene Kind, stiess er wie von ungefähr mit dem linken Fuss an eine Knolle, die unter dem Schnee verborgen lag. Alsbald erhob sich der Nachtwind aus einer Schlucht, der hob ihn wie Flügel aus seinem Pfad, blähte wie Segel des Wanderers Kleider und entrückte ihn ganz.
Nur mühsam vermochte der Mann sich auf dem Weg und Wirklichkeit zu besinnen, denn der ganze Wald schien im Wandel der Weihnacht. Alle Bäume hatten ein Licht aufgesteckt. Ein grosses die grossen, ein kleines die kleinen und es leuchtete von all diesem Schein als reihe sich Stern zu Stern. Immer dichter wurde das Holz, immer heller der dämmernde Zauberschein, der den Mann so verwirrte. Es mutete ihm an, als wüchsen alle Bäume aus einer gewaltigen Wurzel und als wäre der ganze Wald nur ein einziger mächtiger Baum.
Da stob er heran wie mit Rossen des Sturmwinds, davor sich alle Kronen beugten, und die wehenden Lichter wichen vor einem Fahrzeug, das aus der klingenden Ferne zwei dampfende Schimmel zu Stelle brachte. In dem zierlichen Wagenkasten sass eine weisse Frau, die spann einen langen silbernen Faden, und die Spindel tanzte weit unten im Grund. Aber wie eine schwere Woge am Ufer aufsteigt und stockt, so verhielten die Hufe den donnernden Lauf und der Wagen stand.
"Du kommst mir daher wie geheissen", beugte die Spinnerin sich dem Holzfäller entgegen. "Nimm schnell dein Handbeil und verkeile mir meinen Wagen. Gib acht, dass der Nagel aus bestem Kernholz ist, denn Himmel und Erde muss er mit der Nabe zusammenhalten und wenn er bricht, zerfällt die Welt. Am kleinsten Werk hält die Ordnung der grössten Dinge."

Alsbald warf der Mann die Harke von seiner Schulter, kniete nieder und betrachtete den Schaden. Der Keilbolzen am linken Rad war zerschellt, das Rad in Gefahr auszuscheren. Er blickte auf zu der vornehmen Spinnerin und sprach: "Wer schnell hilft, hilft doppelt." Ohne zu zögern schlug er ein kerniges Bäumchen um, hieb es zurecht, dass die Späne nur so flogen und fertigte einen kräftigen Keil daraus. Dann schlug er diesen vor die Nabe und verfestigte ihn mit aller Kunst. Zum Schluss richtete er noch die Deichsel, rückte das Pferdegeschirr zurecht und schon rissen die Rosse an den goldenen Ketten, schnoben und brausten dahin. "Die Späne nimm, dein Lohn steckt drin", hörte er die Wagenlenkerin noch rufen. Dann war alles, Frau und Wagen, in der dämmernden Lichtnacht versunken. In dem sausenden Nachtwind staubten die Flocken vom Schnee. Der Mann nahm nun ein paar der Späne, steckt sie in seine Tasche und warf das Beil wieder über. Dann ging er hiemwärts, und es ärgerte ihn ein wenig, dass ihn die vornehme Frau nur mit einem lumpigen Abfall bezahlen wollte.
Wie er der Begegnung noch nachsann, drückte ihn sein Schuh und es schmerzte ihn etwas Kantiges an den Fersen, dass er sich schliesslich auf einem Baumstumpf niederliess. Da sass er denn, zog sich die Schuhe vom Fusse und stülpte sie um. Wie er sie wieder anzog, da blinkte ein Häufchen von Spänen im Schnee. Die gleissten im Mondlicht wie eitel Gold und wogen wohl so schwer, wie gediegene Gulden. Da erkannte der Mann an der kostbaren Löhnung, dass es Frau Holles Wagen gewesen war, den er verkeilt und gerichtet hatte. Mit frohem Mut trat er denn in die Hütte ein zu Frau und Kind, brachte die schöne Mär von Frau Holles Umfahrt und legte den Goldschatz der Frau in den Schoss. Was der Mann von da an in die Hände nahm, das wuchs und gedieh im. So war er denn inne der Weisheit, dass Himmel und Erde hängen am einfachen Tagwerk des Menschen.

(Aus: Rauhnächte von Sigrid Früh)

2 Kommentare:

  1. Und wer hät au so gern Tüpfli und Pünktli? Das isch ebe d'Aya. Die hät scho als Chind am liebschte Flüügepilz gmalet.
    Und als Mami Gschichtli verzellt vom Pumpernickeli wo imene Flüügepilzhüsli wohnt.
    Und wer hät's erfunde? De Papi vode Aya! Er hät amix vorem is Bett ga es Pumpernickeli-Gschichtli verzellt oder au wämer chrank xi sind.
    So gits also e ganzi Pünktli-Generation!
    Alles Liebi vode Aya

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